Samstag, 23. Januar 2016

Öffentliche Veranstaltungen, 23. Januar 2016:


Wenn die Kammer der Tiere tagt


Wieder einmal findet die Tagung der Tierkammer statt, die traditionell ein großes Medieninteresse hervorruft, dient sie doch unter anderem der Festlegung der Forderungen von Seiten der Interessensvertretung der Tiere gegenüber deren der Nutzer, Halter und Beschauer. Den Vorsitz führt wie immer die Ratte, der Kammerpräsident.

Ratte: Ich eröffne die interne Sitzung, und begrüße hiermit auch gleich alle anwesenden Vertreter der verschiedenen Sektionen. Ich würde bitten diese Sitzung zügig zu führen, da ich noch einige andere Gremien zu unterwandern habe. Prägnanter ausgedrückt, ich stehe unter enormen Termindruck. Deshalb schlage ich vor eine Vorgangsweise beizubehalten, die sich die letzten Jahre ohne Weiteres bewährte und mit der sämtliche anwesende Vertreter immer einverstanden waren und da lautet: Bei den Kollektivvertragsverhandlungen alle zugestandenen Rechte, wie da wären Futtergabe und Platzangebot, nochmals um 10% zu erhöhen. Die Gegenseite wird 2% bieten, und letztlich, nach ewig langen Verhandlungen, die natürlich bis in die frühen Morgenstunden andauern, fällt die Einigung bei 6%. Damit sind auch hier alle einverstanden. Damit ist die Sitzung geschlossen.

Montag, 18. Januar 2016

Recht & Ordnung, 18. Januar 2016:


Herr Reich gegen Frau Arm

Ein aufsehenerregender Prozess findet derzeit in unserem beschaulichen, mustergültigen Ort Mustermannshausen statt. Dieser wurde auch aus eben jenen Gründen gewählt, wohl auch wegen der Abgeschiedenheit. Das mangelnde Medieninteresse mag wohl darauf zurückzuführen sein, dass es keine Parkplätze gibt und vom nächsten Ort aus herzukommen ist indiskutabel – oder vielleicht, weil der Ausgang bereits feststeht?

Donnerstag, 7. Januar 2016

Straftaten, 07. Januar 2016:


Kindesentführung zu Weihnachten


Eines der entsetzlichsten Verbrechen ist in unserem kleinen, idyllischen Ort verübt worden. Ein Säugling wurde entführt. Trotz des skandalösen Ausmaßes der Untat fehlt von den Tätern bisher jede Spur.

Mitten in Mustermannshasen. Mitten unter den sonst so wachsamen Blicken der Ortsbewohnerinnen, schlugen sie zu. Oder waren sie doch nicht aufmerksam? Waren sie zu beschäftigt damit sich an den Keksen und Kipferln gütlich zu tun, aber auch am Weihnachtspunsch und am Eierlikör, dass sie es nicht bemerkten? Aber vielleicht war eine solche Tat auch nur deshalb möglich, weil die Leute sich um die nicht kümmern, die nicht zur Gemeinschaft gehören? Natürlich, es handelt sich um Outlaws, Zuagraste, wie man so schön sagt, die in einem der heruntergekommensten Absteigen unseres Ortes endlich, nach tagelanger Suche, eine Bleibe fanden. Kurz darauf gebar die Frau ein Kind. Dennoch mussten sie bleiben wo sie sind.
„Wenn man die doch nicht kennt“, sagten die einen.
„Das sind sicher Verbrecher oder so was“, erklärten andere.
„Wer weiß ob die wirklich schwanger ist. Die hat vielleicht viele Bomben da versteckt und tarnt das als einen Bauch“, meinten wiederum andere.
„Da muss man schon ein Auge drauf haben“, sagten manche.
„Die Polizei“
„Die Gemeinde“
„Die Müllabfuhr“
„Der Pfarrer“
„Der Bürgermeister“
Aber all die angegebenen Personen hatten keine Zeit. Schließlich musste Weihnachten gefeiert werden. Die Polizei musste sich um den Weihnachtspunschausschank kümmern. Die Gemeinde hatte über Weihnachten, Sylvester, bis zur Fastenzeit geschlossen. Die Müllabfuhr musste die unverwertbaren Reste des Weihnachtsmahls und die überflüssigen Geschenke samt Papier und Schleifen entsorgen. Der Herr Pfarrer musste sich um die Predigt kümmern. Schließlich waren viele Feiertage und der Herr Bürgermeister musste repräsentieren, was auch immer das bedeuten mag. Und all die anderen waren offenbar auch zu beschäftigt. Erst einige Tage später wurde die Anzeige einer Bürgerin überhaupt ernst genommen. Diese Bürgerin war eine von diesen Alternativen, eine Linke, die in einer Kommune lebt und sich der guten Tradition des Fleischessens und dem Konsum verwehrt. Da muss man dann schon misstrauisch sein.

Man fand jedenfalls, als man letztlich der Anzeige nachging in der Unterkunft der Einwanderer den Vater, immer noch stockbesoffen, an einen Esel gelehnt. Die Mutter in Schockstarre und das Baby fehlte, mitsamt der Krippe, in die sie es angeblich gelegt hatten. Nun gilt es zu sagen, dass wohl der Babybauch weg war, aber niemand hatte den Vorgang des Gebärens verfolgt. Sie hatte auch, eigenen Angaben zu Folge, kein Krankenhaus aufgesucht, und das gibt schon Grund zu Misstrauen, denn niemand kann einfach so mir nichts Dir nichts ein Kind gebären, ohne Anleitung. Dabei handelt es sich schließlich um einen höchst komplizierten, medizinischen Vorgang. Deshalb wurde zunächst der Stall gründlich durchsucht, aber es fanden sich keine Waffen. Auch die Papiere waren in Ordnung, aber was sagt das schon. So unwahrscheinlich die Sache auch anmutet, die Polizei ist gezwungen der Sache nachzugehen.

Falls jemand zufällig ein Baby mit Krippe findet, so möge er dies an der nächsten Polizeidienststelle abgeben. Ohne Krippe gilt es nicht. Es genügt aber völlig im Neuen Jahr. Es hat ja schließlich keine Eile.

Sonntag, 4. Oktober 2015

Globalisierung, 04. Oktober 2015:


Die Welt ist gut und gerecht

Ja, wir jammern, und wir jammern immer. Dabei geht es uns doch so gut. Gemessen an anderen Zuständen, geht es uns wirklich gut. Wir jammern also wie immer auf hohem Niveau. Schuld daran ist ganz eindeutig nur eines, es geht uns zu gut.

Neulich, und nicht nur neulich, sondern laufend geschieht dies. Deshalb könnte man es rein grammatikalisch in der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft erzählen, weil sich daran ja auch nichts ändert, denn wir sind Meister des Jammerns. Deshalb wurde hierbei die Mitvergangenheit gewählt, auf dass die Dramatik nicht zu sehr beschämt, aber dennoch der Ernst der Situation jedem einleuchten muss, der noch das Mindestmaß an mentaler Kraft sein eigen nennt. Neulich also im Wohnzimmer der Familie Brückenschlag, wobei nomen nicht omen ist, kann der Satz gehört worden sein, „Also, es ist schon schlimm mit der Globalisierung“. Vermutlich kam der Satz vom Familienoberhaupt, aber so genau weiß man es dann doch nicht, deshalb lassen wir diesen Punkt offen. Es ändert nichts. Besagtes Familienoberhaupt saß vor dem Fernseher. Das Abendessen ward gegessen und der Körper auf Verdauungsmodus eingestellt, als zwischen News aus der Welt und den Fußballergebnissen, also in der strategisch äußerst günstig platzierten Werbepause, eben jener folgenschwere Satz ertönte. Im Hause war es momentan still, denn man gedachte wohl in aller Stille all der Globalisierungsopfer, derer man erinnerlich wurde, was bedeutete, dass zwei Sekunden später die viel gravierendere Frage gestellt wurde, ob denn noch ein Bier im Kühlschrank wäre. Beschämt musste daraufhin die Hausfrau eingestehen, dass dies nicht der Fall wäre, so dass nun wieder über die wirklich wichtigen Dinge gesprochen wurde. Doch man hatte seine Menschenpflicht erfüllt und auch daran gedacht, dass es schlecht ist in der Welt. Dann kehrte man zurück zur Tagesordnung. Aber warum ist das möglich? Weil es uns gut geht. Der Staat, der sorgt für uns und verteilt seine Meriten gerecht. Oder was bitte sollte daran ungerecht sein, dass Familien die größte Steuerlast tragen? Nutzen sie doch auch am meisten ab. Die Straßen, die Schulen, die Kindergärten, die Universitäten, die Arbeitsplätze. Niemand nimmt so viel öffentliche Infrastruktur in Beschlag wie Familien. Oder haben Sie vielleicht schon mal einen Pensionisten auf einer Schaukel am Kinderspielplatz gesehen? Natürlich nicht. Die werden doch regelmäßig nur von Kinderhintern abgewetzt. Gerecht ist es, denn der Staat, der Papa, wie wir ihn zutreffend nennen, ist gerecht und liebt alle seine Kinder gleichermaßen, aber deshalb sieht er auch, dass seine Kinder verschiedene Bedürfnisse haben. So ist er gezwungen von den Arbeitenden in der Realwirtschaft mehr Steuern zu erheben als vom Kapitalertrag, denn schließlich hat noch kein Kapital einen Kilometer, ja nicht einmal einen Meter Autobahn frequentiert. Außer, wenn es verbracht wird, aber das muss es jetzt nicht mehr, denn das Geld wird sich bald gänzlich auflösen und nur mehr als Buchgeld aufscheinen, hübsche kleine Zahlen, die sich auf virtuellen Autobahnen bewegen, aber dafür braucht es nicht einmal eine Vignette. Es ist nur gerecht, dass das Kapital von einigen wenigen besessen wird, denn die können offenbar darauf aufpassen. Man hat es ja schließlich probiert. Da gab man den Menschen Geld um zu sehen, was würden sie damit machen. Und was machten sie? Sie gaben es sofort aus. Für Lebensmittel, Heizmaterial, Miete und Bekleidung. So uneinsichtig sind sie. Da kann man doch nicht verlangen ihnen mehr zu geben. Nein, man gäbe es denen, die es horten und für diese Last der Verantwortung, aber auch des sorgfältigen Umganges, ist es doch nur legitim, dass sie Zinsen kassieren. Manchmal landet der eine oder andere auf der Straße, auch Kinder, wie behauptet wird, doch das sind Kollateralschäden, die nicht weiter ins Gewicht fallen, und gerade die Funktionsfähigkeit des Systems zeigen, nicht das Gegenteil. Gut geht es uns, und gerecht geht es zu, und wer etwas anderes behauptet, dem geht es sogar zu gut, denn er verfügt über den Luxus so viel Zeit zu haben um zu lamentieren. Nicht das System ist ungerecht, sondern die Menschen, die nicht in die Lobeshymnen miteinfallen, die immer noch nicht sehen, wie gut es ihnen geht.

Montag, 21. September 2015

Innenpolitik, 21. September 2015:


Schön, schöner, Mustermannshausen

Mit allem Fug und Recht und Nut und Nagel ist Mustermannshausen und auch die Bewohner mitunter stolz darauf, viele Jahre hintereinander zum mustergültigsten Musterort im gesamten Bezirk gewählt worden zu sein, doch immer gibt es Menschen, denen das nicht genug ist. Nun kommt der Bahnhof in den Fokus der Kritik. Wird auch hier unser sehr verehrter Herr Bürgermeister Max Mustermann eine seiner mustergültigen Musterlösungen finden? Ein Augenzeugenbericht von Frau Dr. Helene von Herzfeld.

Trotz aller Mustergültigkeit kommen immer wieder Beschwerdepunkte, die direkt in den „Wilden Ochsen“ getragen werden, in dem man am ehesten das Vergnügen hat dem Gemeinderat samt Bürgermeister zu begegnen. So auch diesmal. Ein Fremder, ja, man muss dieses Wort verwenden, nicht nur zur Differenzierung, sondern auch, denn das bedeutet, dass dieser keine Kommunalsteuern entrichtet, aber dennoch die hiesigen Straßen ablatscht und die Bänke im Park sitzend durchscheuert, aber auf Grund der Weltoffenheit, wird auch diesem Gehör geschenkt. Im Mittelpunkt steht hierbei der dem Ort eigene Bahnhof, respektive das Bahnhofsgebäude, denn an den Schienen selbst lässt sich schwer was ändern. Es sähe alt, verwahrlost, grau und wenig einladend aus. Dies wurde also zur Vormittagsstunde dem Bürgermeister samt anwendenden weiteren Gemeinderatsmitgliedern zu Gehör gebracht, während der Reporter des Mustermannshausischen Kuriers eifrig mitschrieb, denn das Gefühl einem historischen Augenblick beiwohnen zu dürfen, lag in der Luft. Dieses wurde ergriffen und mir mitgeteilt. Ruhig und gelassen hörte sich der Herr Bürgermeister die Anfrage an und trat sofort in Aktion. In der selben Minute noch, also in der nachdem er seine Jause und das Bier ausgetrunken hatte, aber dann wirklich sofort, traf er eine Entscheidung. Es müsse etwas geschehen. Deshalb setzte er sofort ein Konsortium ein. Ungefähr eine Stunde später, als die Konsortiumsmitglieder eingesetzt waren, wurde mit der eigentlichen Arbeit begonnen. Die gerade frisch ernannten Mitglieder setzten auf der Stelle drei Arbeitsgruppen ein. Diese Arbeitsgruppen bekamen jeweils eine schwerwiegende Arbeitsaufgabe gestellt. Die erste sollte einen Namen finden. Die zweite war für die Pressearbeit zuständig. Und die dritte, letzte und vergleichsweise unwichtigste, sollte sich damit befassen Ideen zu sammeln und Pläne auszuarbeiten, so dass schon baldmöglichst Ergebnisse vorliegen würden.

„Alles muss gut durchdacht sein, denn mit übereiltem Aktionismus hat man noch nie was Ordentliches auf die Beine gestellt“, erklärte Max Mustermann, Bürgermeister, gedehnt.
„Und wann wird man die Verbesserung bewundern können?“, mischte sich der Reporter an seiner Seite ein.
„Immer dieser Druck von allen Seiten. Man sieht ja was rauskommt, wenn die Menschen unter Druck stehen, wenn man Ihre Artikel liest. Aber ich sage mal, bis zur nächsten Wahl“, zeigte sich der Herr Bürgermeister offen und volksverbunden, wie er nun einmal ist, um nach einer kurzen Überlegung hinzuzufügen, „Wann sind die eigentlich?“
„Am 11. Oktober, Herr Bürgermeister. Also in knapp drei Wochen“, wagte der Reporter einzuwerfen.
„In drei Wochen? Dann sollen die Frauen vom Verschönerungsverein ran, Blumen aufhängen, solches Zeugs. Das gesamte Budget des Vereins soll ausgeschöpft werden. Dann sagt dem Pinselschwinger, dem Künstler Bescheid, der soll ein bisschen was anmalen, und gut ist es“, ordnete der Herr Bürgermeister an, „Denn wir dürfen nie vergessen, nur was schnell entschieden ist, ist gut entschieden.“

Und weil nur schnelle Entscheidungen gute Entscheidungen sind, bestellte sich der Herr Bürgermeister schnell noch ein Bier, während er sich von der rasanten Arbeit erholte.

Montag, 14. September 2015

Demokratie, 14. September 2015:


Anschauliches Lernen

Mustermannshausen, die mustergültigste Gemeinde von ganz überall, besticht durch sein ästhetisches Ortsbild ebenso wie die würde Präsentation der Einwohner. Alles wäre harmonisch, rund und präsentabel, wenn da nicht überall diese Wahlwerbeplakate wären. Dr. Helene von Herzfeld, ihres Zeichens führende Kultur- und Sozialanthropologin, fragt nach.

Frau Doktor Herzfeld durchschritt den Ort erstmals nach einer mehr oder weniger geglückten Ankunft am Hauptbahnhof und einem äußerst interessanten Gespräch mit dem ersten Ureinwohner, der ihr über den Weg lief, und der – zu ihrer nicht geringen Freude – ein Exemplar der weitverbreiteten Spezies „Beamte“ darstellte. Der Ort war zu diesem Zeitpunkt geradezu übersät mit großflächigen Plakaten von sämtlichen kandidierenden Parteien, wobei die Plakate ganz offensichtlich nicht nach Stimmenstärke verteilt worden waren, sondern zu gleichen Teilen, so dass sich die verschiedensten Couleurs munter abwechselten, was ein durchaus farbenfrohes Bild ergab, wobei auch hier darauf geachtet wurde, dass die Farben aufeinander abgestimmt waren. So war z.B. offenbar Wert darauf gelegt worden, dass nicht Rot neben Pink erschien, aber auch nicht Blau neben Schwarz, sondern immer Rot – Schwarz – Pink – Blau – Gelb – Grün. Gemeinsam hatten all diese Plakate, dass das Konterfei des Spitzenkandidaten darauf zu sehen war und ein vollmundiger Slogan zu brisanten Themen.

So war dem Plakat der sozialistischen Partei zu entnehmen:

„Stärkung des Arbeitnehmerstandes sichert Arbeitsplätze.“

Einige Schritte weiter war vom Plakat der Bürgerlichen zu erfahren:

„Stärkung des Unternehmerstandes sichert Wohlstand.“

Anschließend las man am Plakat der Pinken:

„Freies Unternehmertum und selbstverantwortliche Arbeitnehmer sichern den Wettbewerb.“

Noch einmal weitergegangen, verkündete das Plakat der Freiheitlichen:

„Einheimische Arbeitskräfte sichern einheimischen Konsum.“

Um gleich darauf zu einer gelben Parole überzuwechseln:

„Freies Unternehmertum für jeden.“

Den Abschluss bildete der grüne Standpunkt:

„Eine gesunde Umwelt sichert den wohlbewachten Markt.“

Ebenso aussagekräftige Sätze fanden sich zum Thema Bildung, Sicherheit u.v.m. Offenbar befand sich der Ort gerade in der heißen Phase einer Wahl. So lautete zumindest die Arbeitshypothese von Frau Dr. von Herzfeld, die sich eigentlich nie irrte, und selbst wenn es so aussah, lag der Irrtum stets bei ihrem Gegenüber. Dennoch handelte es sich nicht um einen direkten Wahlkampf, wie ihr versichert wurde, obwohl wir uns ja eigentlich immer im Wahlkampf befänden, so die einhellige Meinung der im „Wilden Ochsen“ vollzählig anwesenden Spitzenkandidaten, denn nach der Wahl sei schließlich wieder vor einer Wahl. Aber die Plakate dienten der Bildung.

„Wie sonst wüssten die Parteimitglieder welche Meinung sie zu vertreten hätten, auf der einen Seite, und auf der anderen Seite die Wähler, was die Parteien verträten“, fasste der Herr Bürgermeister, Max Mustermann, die Intention hinter den Plakaten zusammen.
„Aber ich dachte immer, dafür gäbe es Parteiprogramme?“, fragte nun Frau Dr. von Herzfeld nach.
„Natürlich gibt es die“, mischte sich an dieser Stelle Siggi Schablone, Oppositionsführer, ins Gespräch, während der Herr Bürgermeister sich nicht ganz klar darüber zu sein schien was damit eigentlich gemeint war, „Aber es kann ja niemandem zugemutet werden, dass er die liest. Für die eine ausreichend politische Bildung des einfachen Bürgers genügen die Plakate. Damit ist alles Wesentliche gesagt. Kurz, prägnant und immer mit hübschen Bildern garniert.“

Eine wahrhaft epochemachende Errungenschaft auf dem Weg zu einer allumfassenden Demokratie.

Sonntag, 13. September 2015

Innenpolitik, 13. September 2015:


Lückenlose Überwachung

Vorreiterrolle hat der mustergültige Ort Mustermannshausen in einer strittigen Frage wieder einmal übernommen, denn wir fragen nicht nur, wir haben auch Antworten, und diese lautet, lückenlose Überwachung, abgesegnet durch den Souverän, das Volk.

In einer einmaligen Nacht, die wohl in die Geschichte der Gemeinde eingehen wird, als die Nacht, die alles zum Positiven veränderte, alle Missverständnisse und Unklarheiten aus dem Weg räumte und eindeutig die Position des Souveräns zur Geltung brachte. Natürlich war das Thema Überwachung auch bis zu uns vorgedrungen. Peinlich wurde dem jedoch aus dem Weg gegangen, denn es klang nach etwas Bösem, bis sich einige Bürger aufrafften, zu vorgerückter Stunde, im Wilden Ochsen, dem herausragenden Gasthaus in unserem Ort, sich des Themas einmal offen und vor allem vorurteilsfrei anzunähern. Endlich wurde darüber geredet ohne, dass jemand in eine politische Ecke verfrachtet wurde, und vor allem ohne Polemik. Dabei darf nicht übersehen werden, dass es bei uns, wie in jedem kleinen Ort, so etwas wie die NSA schon immer gegeben hat. Nur, dass diese ganz konkrete Namen hatte. Diese Personen bekamen Ehrentitel wie die Dorftratschen. Dabei handelte es sich um Frauen, die die schwere Bürde auf sich nahmen ihre Nachbarn, Bekannten, Verwandten und auch alle anderen, lückenlos zu beobachten. Das setzte Mut und Einsatz voraus, denn nicht immer wurde das gerne gesehen, aber seien wir uns mal ehrlich, nur von denen nicht, die was zu verbergen hatten. Sie ließen sich nicht irre machen und auch nicht verunsichern, und setzten tatkräftig ihr Werk fort. Man kann daraus ersehen, dass sie es alles andere als leicht hatten, und dennoch fuhren sie fort. Manchmal entlud sich der Volkszorn geradezu über sie, auch wenn viele es nicht wagten aufzubegehren, aus Sorge, dass diese Damen zum Gegenschlag ausholen und ein gutgehütetes Geheimnis preisgeben könnten. Doch das ist nun alles vom Tisch, denn man muss die Vorteile bedenken. Damit die Wirtschaft, die Industrie, die Gemeinde darüber informiert ist, was jemand will oder braucht, ist es von nun an nicht einmal mehr notwendig aus dem Haus zu gehen. Man sitzt in seinem Wohnzimmer und spricht über seine Bedürfnisse, und diese werden gesammelt, so dass darauf reagiert werden kann.

Lückenlose Überwachung, das bedeutet ebenso, lückenlose Bedarfserhebung und –erfüllung. Soziale Sanktionen bei Verstößen können punktgenau angebracht werden, aber auch Ratschläge und Verhaltensmaßregeln, falls jemand einmal in Erziehungsfragen z.B. nicht weiter weiß oder einfach nur vergessen hat, ob die Suppe schon gesalzen wurde oder nicht. Und jeder von uns weiß wie fürchterlich eine Suppe schmeckt, die zu viel gesalzen wurde. All diese Vorteile wurden zusammengetragen und in eben jener legendären Nacht darüber abgestimmt. In dieser Abstimmung sprach sich der Souverän einstimmig für die lückenlose Überwachung aus. Böse Zungen behaupten zwar, dass dieses Ergebnis nur zustande kam, weil auch die Wahlkabinen lückenlos überwacht wurden, aber wir wissen leider nur allzu gut, dass es immer jemanden geben wird, der eine Errungenschaft schlecht redet. Und schließlich geschieht nichts anderes, als bei Google, Amazon und Co. schon längst praktiziert wird. Ist es nicht sehr vernünftiger dies in den eigenen Händen zu behalten. Also jeder, der diesen Komfort genießen will und sich demokratiepolitisch reif genug dafür fühlt, ist herzliche eingeladen in unseren wunderbaren Ort eine neue Heimat zu finden.